Der Mensch im Zentrum
Lesen Sie diesen Artikel gerade mit ihrem Smartphone oder Tablet, mit dem Sie eben noch per One-Click-Buy das aktuelle „Must Have“ im Internet bestellt haben? Und steht parallel dazu in ihrem Kalender auch schon der Termin, in dem das Management ihres Unternehmens auf die anstehenden Herausforderungen hinweisen will? Wie z. B. dass der Wettbewerb angezogen hat, die Märkte unsicherer werden und man sich jetzt endlich dem Thema „Digitalisierung“ widmen müsse? Dann heiße ich sie herzlich willkommen…im Zeitalter des Wandels! Aber was ist denn da eigentlich gerade los? Die Welt ist in einem permanenten Wandel, das ist eigentlich nichts neues. Neben religiösen und ethischen Glaubensfragen trugen technologischen Errungenschaften wie die Dampfmaschine oder das Mobiltelefon immer schon zum Wandel unserer Gesellschaft bei. Und aktuell sind es eben der technologische Fortschritt, die Digitalisierung und die Globalisierung, die uns bzw. die Wirtschaft auf Trab halten.
Irgendwas scheint diesmal jedoch anders zu sein und tatsächlich lassen sich zwei interessante Entwicklungen beobachten: Einerseits der rasant zunehmende Einfluss von neuen Technologien, die einerseits mehr Lebensqualität versprechen und andererseits die Form des Zusammenarbeitens maßgeblich beeinflussen. Wie viele WhatsApps sind denn schon bei ihnen eingegangen, seit Sie begonnen haben, diesen Blog zu lesen? Bleiben Sie bitte resilient und lesen Sie weiter… Eine Art Endstufe dieser Entwicklung beschreibt Yuval Noah Harari im Buch „Homo Deus“: Die Verschmelzung von Mensch und Technologie im Techno Humanismus.
Andererseits hören wir die immer lauter werdende Frage nach dem Sinn bzw. dem Purpose des eigenen Tuns und der Organisationen, für die man sich engagieren soll. Verstärkt wird diese Frage durch die aktuellen Debatten um Klimawandel und Nachhaltigkeit. Simon Sinek bringt es sehr anschaulich auf den Punkt, wenn er in seinem Buch „Start with WHY“ an Hand des Golden Circle erklärt, dass alles Nachhaltige von einem starken Warum ausgeht.
Diese beiden Entwicklungen sind für Unternehmen Grund genug, die Transformation auszurufen. Schließlich will man diese Themen aktiv mitgestalten und sich nicht von ihnen gestalten lassen. Hält man sich nun vor Augen, dass der wichtigste – und vor allem nachhaltigste – Vermögenswert eines Unternehmens nun nicht die Produkte und Services, die Patente oder gar die Entwicklungs- und Fertigungsprozesse sind, denn diese sind am Ende allesamt der Disruption unterworfen. Sondern, dass es das Human Capital, also die Menschen in den jeweiligen Unternehmen sind, dann wird eines klar: die Transformation eines Unternehmens auf Marktseite kann konsequenter Weise nur mit einer Transformation im Inneren – nämlich der Arbeitswelt – erfolgreich umgesetzt werden. Einer Arbeitswelt, in der Technologie und Arbeitsweise genauso Raum finden wie Sinn und Purpose. Einem New Way of Work.
Damit sie mir besser folgen können, werfen wir doch einen kurzen Blick zurück in der Geschichte der Arbeitswelt. Im Zeitalter der Industrialisierung ging es ja eher darum, die Ressource Mensch möglichst effizient zu planen und einzusetzen. In den damals weiten, globalen Märkten mit geringer Dichte ging es ja auch darum, Güter in hoher Stückzahl zu wettbewerbsfähigen Preisen herstellen zu können. Mit Einzug des Informationszeitalters zum Ende des vergangenen Jahrhunderts stößt dieses Konzept an seine Grenzen. Anhand der sogenannten Taylorwanne kann man sehr gut nachvollziehen, dass durch die Erfindung von Internet und Mobiltelefonie ein wahrer Turbo zur Steigerung der Komplexität eingesetzt hat, der den dynamischen – also durch den Menschen zu lösenden – Teil der Wertschöpfung exorbitant steigen lässt.
Eine Vielzahl der Unternehmen sind noch nach den klassischen Strukturen aufgebaut, die sich im Zeitalter der Industrialisierung bewährt haben. Das Management-Prinzip von „Vorhersage und Kontrolle“, bei dem man vorher schon gerne wissen will, was hinterher rauskommt, ist jedoch nur bedingt geeignet, um sich der durch das Umfeld bedingten Komplexität zu stellen. Brian J. Robertson sagt in seinem Buch „Holacracy“ dazu einen sehr schönen Satz: Die Lösung liegt in den Mitarbeitern des Unternehmens selbst.
Einige Unternehmen gehen jedoch schon einen Schritt weiter und flachen Hierarchien zunehmend ab. In diesen „petrolfarbenen Organisationen“, wie Frederic Laloux sie in seinem Werk „Reinventing Organizations“ nennt, macht man nun zunehmend die Erfahrung, dass Mitarbeiter deutlich produktiver sind, wenn Sie mehr Freiraum bekommen – aha!
Angeheizt wird diese Entwicklung durch die These, dass perspektivisch jeder vierte Beschäftigte in Deutschland damit rechnen muss, dass seine Tätigkeit durch künstliche Intelligenz ersetzt wird. Zwar werden dadurch auch neue Jobs entstehen, deren Ausübung erfordert aber ein völlig neues Skill-Set.
Auch was das Bedürfnis nach Sinn und Purpose betrifft, lohnt sich ein kurzer Blick auf die aktuelle Entwicklung: Laut einer Studie des in diesem Zusammenhang gerne zitierten Gallup- Institutes haben ¾ der Mitarbeiter keine emotionale Bindung zum Unternehmen, in dem sie arbeiten. Und gut 15% haben bereits innerlich gekündigt. Darüber hinaus hören wir von Millenials und Generation Z, dass er gerne einer Arbeit mit tieferer Bedeutung nachgehen will, am liebsten in einer Organisationen mit „Mission“ und „Purpose“.
Alles in allem eine gewaltige Dynamik, die grundsätzlich ja auch in die richtige Richtung geht. Zumindest, wenn man das Thema Nachhaltigkeit als gesellschaftlichen Mehrwert anerkennen kann. Nur wie ist es aktuell um die Umsetzung in den Organisationen bestellt? Da warten einige Herausforderungen…
Mit der Einführung agiler Arbeitsweisen wird bereits ein teamorientierter Ansatz verfolgt, der einerseits mehr Kundennähe und andererseits ein besseres Management von Prioritäten verspricht. Das Agile Manifest lädt gerade dazu ein, die alten Grenzen ein stückweit zu verlassen und lässt einen höheren Grad an Selbstbestimmung zu. Was macht diesen grundsätzlich zielführenden Ansatz so herausfordernd?
Die damit konfrontierten Mitarbeiter interpretieren diese gut gemeinte neue Freiheit mitunter als Erwartungshaltung des Unternehmens, zukünftig noch mehr leisten zu müssen. War das bisherige denn nicht gut genug? Anstatt die Chance auf Veränderung am Schopfe zu packen wollen sie lieber in ihrer gewohnten Welt der Prozesse und Regeln verweilen. Im Übrigen ein ganz natürlicher Schutzmechanismus, den man diesen Menschen nicht verdenken kann.
Zudem steht bei der Einführung von agilen Arbeitsweisen gerne die Methode im Vordergrund. Termine heiße fortan „Daylies“ oder „Weeklies“. Der Arbeitsvorrat wird in einem „Backlog“ geführt und dessen Abarbeitung über eine „Kanban-Bord“ gemonitort und die gute alte Liste der Offenen Punkte steht nicht mehr in Excel, sondern im Jira. Das Wesen der Transformation, der Mindset, bleibt zu oft außen vor.
Hier ist gute Führung gefragt? Sicherlich! Nur tun sich gerade die Führungskräfte schwer mit dem Loslassen. In Gesprächen mit hochdekorierten und verdienten Managern höre ich immer wieder Sätze wie „Ich verstehe das alles! Nur es kann doch keiner von mir verlangen, dass ich das, was ich in den letzten Jahren groß gemacht habe – und was mich groß gemacht hat – jetzt sehenden Auges wieder einreiße!“
Tja und so gerät der Motor einer gut gemeinten Agilen Transformation halt gerne mal ins Stocken. Doch gar nicht so leicht mit dem Change! Aber dafür gibt es ja das Change Management! Dadurch soll die notwendige Veränderungsbereitschaft in Projekten gefördert, ja am besten direkt sichergestellt werden. Und wie läuft es?
Ob Kotter oder Lewin: die Standardmodelle des Change Managements beschreiben einen linearen Prozess, der Dynamik und Lebendigkeit von komplexen Systemen außen vor lässt. Diese Modelle unterstellen, dass der Menschen ein rational urteilendes Wesen ist. Dagegen spricht, dass 90% der menschlichen Entscheidungen durch ein vom Gehirn angelegtes Handlungsgedächtnis getroffen werden. Das ist ein evolutionsbedingter Energiesparmodus, der in Anbetracht der Tatsache, dass das Gehirn etwa 20% der verfügbaren Energie verbraucht, auch erstmal Sinn macht. Bei komplexen Entscheidungen wird zudem immer auch das limbische System involviert, in dem alle emotionalen Erfahrungen gespeichert sind.
Der menschliche Aspekt zeigt sich auch in einer mitunter sehr unterschiedlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit. So wird ein Vorstandsauftrag oder Managementbeschluss, gerne gleich mit SMARTen-Zielen versehen, damit es möglichst konkret und greifbar wird. Jedoch ist bereits das A in SMART (=attraktiv) ein hochgradig subjektiv interpretierbarer Begriff. Zudem vermag Sprache (egal ob in Wort oder Schrift) nie eindeutig zu sein. Sprache ist immer ein Vermittler zwischen einem Gegenstand und unserem Verständnis bzw. Begriff dazu. Beim Empfänger stößt sie wieder auf einen eigenen und mitunter völlig anderen Kontext. Wenn in Change-Projekten also Klarheit eingefordert wird, darf man davon ausgehen, dass auch die fehlende Eindeutigkeit eine Rolle spielt.
Was nun am besten tun? Hände weg vom New Way of Work? Ich meine nein – aber wenn, dann bitte richtig.
Transformationen sind im Idealfall immer eine Veränderung „am System“, wie z. B. die Einführung einer neuen Technologie und eine Veränderung „im System“, also z. B. einem Kulturwandel. Die erstere ist uns gut bekannt aus der Welt der Projekte und Programme. Sie ist gekennzeichnet von hoher Ergebniserwartung oder sogar -druck und harten Timelines. Zweitere wird mitunter dadurch zum Nebenkriegsschauplatz und ist sich selbst überlassen. Und genau das sollte nicht sein!
An dieser Stelle jetzt DAS eine Vorgehensmodell aus dem Hut zu zaubern wäre sicher vermessen und würde auch der Sache nicht gerecht werden. Aber lassen Sie mich im Folgenden ein paar – sagen wir – Schritte aufzählen, die in der Form durchaus aufeinander folgen können und deren Output auf beide Ebenen der Transformation einzahlt.
Ein wichtiger Nährboden für Veränderung ist Vertrauen und Raum zur Entfaltung. Diesen Rahmen gilt es zu Beginn herzustellen.
Standort bestimmen
Der schon genannte Vorstandsauftrag bzw. der Management-Beschluss sind sicher eine gute Grundlage. Diesen Schwung und vor allem die Verbindlichkeit sollte man unbedingt mitnehmen. Dann geht es aber vor allem darum „zwischen den Zeilen“ zu lesen und die richtigen Fragen zu stellen. Methodisch ist hier natürlich der Klassiker, die Stakeholder-Analyse, angebracht. Wichtig dabei ist, die Gespräche persönlich, aufmerksam und mit der gebührenden Wertschätzung zu führen. Nur so gelangt man auch an die Themen unterhalb des Eisberges. Um die unterschiedlichen Perspektiven zu verdeutlichen kann auch das Modell der Quadranten nach Wilber eingesetzt werden.